Zur gegenwärtigen persönlichen Situation

als Philosophin mit 61 Jahren

 

 

Jetzt mit 61 Jahren habe ich keine Freude mehr daran, die öffentliche Rolle der Philosophin zu spielen. Denn es war eine Rolle, die ich da gespielt habe, als ich mich mit etwa 18 Jahren dazu entschloß, eine Philosophin zu werden und dafür auch ein Philosophiestudium zu absolvieren und mich politisch und sozial zu engagieren. Es war mir ein Lebenstraum. Er erfüllte sich. Ich wurde als Philosophin gefragt für Reden, Schreiben und unterrichten. Dabei wechselte ich in die Rolle "Philosophin", wenn ich öffentlich auftrat und entsprach den meisten Vorstellungen. Ich konnte immerhin so gut damit verdienen, daß es mir und meinem Sohn an nichts fehlte.

 

 

 

Aber ich selber wurde innerlich immer einsamer. Ich führte kaum ein persönliches Leben. Ich führte ein gesellschaftliches Leben. Hatte berufliche Freundinnen und Freunde und auch mein Mann liebte diese gesellschaftliche und auch politische Rolle an mir und war begeistert dabei, wenn ich Vorträge hielt. Der Sinn für mein Handeln lag in übergeordneten evolutionären Zielbestrebungen. Frieden durch Erkennen schaffen, menschliche Intelligenz weiter entwicklen, eine neue Humanität leben, neue Leibsensibilitäten entwickeln, Anerkennung finden für meine philosophische Arbeit.

 

Ich habe es ziemlich verpaßt, in meinem Leben ein persönliches privates Leben zu führen. Kaum Zeit war da für das Schöne, was es zu erleben gibt. In der Natur, im Gestalten selber, im mitmenschlichen Austauschen, im Genießen des Familienlebens. All das ist etwas, ohne dass ein größerer Sinn dahinter stecken würde als der, eben gern zu leben. Das Leben selber zu schätzen.

Mit 61 Jahren ist mir klar geworden, daß mein Leben bestenfalls schon fast zu 2/3 vorbei ist. Jetzt habe ich noch mehr als 35 gute Jahre vor mir, meine Urgroßmutter wurde immerhin 103 Jahre alt und war gesund. Aber ich habe auch

 

 

 

erlebt, wie schnell 35 Jahre vorbei gehen. Das Leben geht sehr schnell vorbei. Je älter ich wurde, desto offensichtlicher wurde diese subjektive Tatsache.

 

 

 

Die Kinder gehen ihre eigenen Wege, wenn sie groß sind, die mußte ich los lassen. Und auch die Enkelkinder werden rasend schnell größer. Omasein ist keine Lebensaufgabe.

 

 

 

 

 

Eine Frage stellte sich mir immer dringlicher:

Warum mache ich mich eigentlich gesund? Warum diese Mühen um mehr Gesundheit?

 

 

 

 

Jüngere Menschen behandeln mich so, als hätte ich die Hauptzeit meines Lebens schon hinter mir. Aber mir selber kommt das überhaupt nicht so vor.

 

 

 

 

Mein Leben ist noch nicht im Endstadium, auch wenn ich aus der öffentlichen Rolle der Philosophin ausgestiegen bin.

 

 

 

 

Ich möchte ein privater Mensch werden. Das ist der Luxus, den ich mir leisten möchte im letzten Drittel meines Lebens. Was heißt das, ein privater Mensch zu sein? Sich nicht mehr über sehr große und bedeutende Ziele zu definieren? Ja. Das Einfache und Kleine darf wichtig sein. Einfach das Leben selber, mein Leben.

Ich habe es im letzten Urlaub wieder entdeckt. Mein Mann und ich genossen den Swimmingpool in der südspanischen Ferienvilla. Ich zeigte ihm die Küste und Granada, wo ich als 20 Jährige sechs Monate allein durch Spanien reiste ohne einen großen Weltsinn, einfach, weil ich es dort schön fand, weil ich dort am Strand glücklich

 

 

 

 

 

 

 

war und weil ich dort Menschen traf, mit denen ich freundlich zurecht kam. Ich fühlte mich damals als Tramperin wie ein frei fliegender Vogel und genoß die Aussichten um mich herum. Ich war ein privater Mensch gewesen, kein höherer Sinn motivierte mich, außer dem schönen Leben selber. Aber es war mir finanziell nicht möglich, in Spanien zu leben und zu studieren.

 

 

 

 

So blieb ich in Deutschland und erlernte den Beruf einer Philosophin, einer Frau, die sich gesellschaftlich bezieht und hinter allem einen größeren Sinn erblickte.

 

 

 

 

 

Meinen Mann sah ich in Südspanien so glücklich wie lange nicht mehr. Eine freundliche Frau fragte uns: Warum kommt Ihr nicht hier her? Es ist schön hier, wenn man kein Geld mehr verdienen muß.

 

 

 

 

Ja, es ist wie der Lohn des anstrengenden Lebens. Wir ziehen nach Südspanien. eine freudige Perspektive. Mein Jugendtraum erfüllt sich überraschender Weise. Dafür also sollte ich fit und gesund sein, um in einem neuen Land ein neues Leben zu beginnen.

 

 

 

 

Ich bin keine berufliche Philosophin mehr, ich bin ein einfacher Mensch geworden, sehe die Welt aus der persönlichen erlebten Perspektive. Vielleicht ergibt sich daheraus noch einmal etwas ganz Neues zu tun für mich? Wer weiß. Wenn nicht, ist es auch gut.